Clickertraining im Tierheim-Alltag
Wer den Tierheim-Alltag kennt weiß: Die Tierpfleger und -schützer haben allein mit der Versorgung ihrer Schützlinge alle Hände voll zu tun. Viel Zeit für individuelles, regelmäßiges Training von Hunden, Katzen und anderen Tieren bleibt da häufig nicht. Hinzu kommt: Viele Tiere befindet sich während ihres Tierheimaufenthaltes in echten „Ausnahmesituationen“. Sie sind enorm gestresst und entsprechend auch nur begrenzt aufnahmefähig. Ein Standardprogramm à la „Sitz – Platz – Fuß“ passt im Regelfall schlichtweg nicht. Und dennoch: Gerade unter diesen ungünstigen Bedingungen kann das Clickertraining mit beeindruckenden Ergebnissen zum Einsatz kommen!
Das clickernde Tierheim: Wie und warum es funktioniert
Die Amerikanerin Karen Pryor, die maßgeblich dazu beigetragen hat, die Erkenntnisse der Verhaltensforschung aus den Labors in die Praxis zu bringen und als „Clickertraining“ zu etablieren, hat in den USA eine Initiative gestartet, Clickertraining in den alltäglichen Ablauf von Tierheimen zu integrieren.
Hier und da ein Click bringt viel – und ist nicht schwer!
Durch einen Click hier und da können Hunde ohne gezielte Trainingseinheiten erwünschte Verhaltensweisen erlernen. Im Idealfall tragen dafür alle, die sich um die Tiere kümmern – seien es Tierheimmitarbeiter oder „Gassigeher“ – Clicker und Leckerchen-Beutel bei sich. Alternativ oder zusätzlich werden an Zwingern und Boxen der Tiere Clicker und Leckerchen-Behältnisse von außen befestigt, auf die jeder schnell zugreifen kann. Nun kann jeder, der zu den Hunden geht, sie für erwünschtes Verhalten clicken und ein Leckerchen werfen: beim Füttern, beim Säubern der Zwinger und Ausläufe, beim durch die Gänge Gehen.
Click & Futter gibt es zum Beispiel,
- wenn ein Hund zufällig still ist anstatt zu bellen,
- wenn er von sich aus mit allen Vieren auf dem Boden steht, anstatt am Gitter oder an seiner Bezugsperson hochzuspringen,
- wenn er beim Spaziergang freiwillig Blickkontakt aufnimmt oder
- einen zufälligen Schritt an loser Leine tut usw.
Das Know-How, welches die „Trainer“ dafür brauchen, ist minimal:
- Geclickt wird genau in dem Moment, wenn das erwünschte Verhalten auftritt (und nicht nachher) – so, als wäre der Clicker der Auslöser eines Foto-Apparates und man wollte genau den richtigen Moment im Bild festhalten.
- Jeder Click ist ein Versprechen auf ein Stück Futter.
Warum der Clicker – täte es nicht auch ein Lob?
Natürlich freuen sich die Hunde über Zuwendung und Lob, und an beidem sollte nicht gespart werden! Aber: Zur Belohnung erwünschten Verhaltens eignet sich der Clicker besser. Denn:
- Das Click-Geräusch ist „kurz und knackig“ und eignet sich dafür, exakt den richtigen Moment des erwünschten Verhaltens zu markieren – viel genauer, als dies ein Lobwort könnte.
- Der Clicker klingt immer gleich – unabhängig davon, welcher Tierheimmitarbeiter oder freiwillige Helfer ihn betätigt. Die Bedeutung des Clickers versteht der Hund immer richtig.
- Der Clicker ist in seinem Geräusch so prägnant und in seiner Bedeutung so positiv belegt (Click = Futter), dass er erstaunlich gut selbst in aufgeregte Hundehirne vordringt.
Und was kann damit erreicht werden?
Clickertraining im Tierheim-Alltag macht wenig Aufwand und kann viel:
- Tiere, die gelernt haben, dass sie es durch ihr Verhalten beeinflussen können, Menschen zum Clicken (und Belohnen!) zu bringen, tendieren dazu, ruhiger zu werden und mehr Selbstvertrauen zu zeigen. Sie reagieren positiv auf die Menschen in ihrem Umfeld und sind im täglichen Umgang einfacher zu handhaben.
- Clickertraining bringt Abwechslung in den Tierheim-Alltag, reduziert den allgemeinen Stress-Level – und trägt damit auch zur Verbesserung der Vermittlungschancen bei.
- Dabei ist es für Tiere und Menschen gleichermaßen ermutigend und belohnend: Gemeinsame Erfolgserlebnisse bereichern die tägliche Routine.
Die Erfahrungen, die in amerikanischen Tierheimen mit der Einbindung von Clickertraining in den Tierheim-Alltag gemacht wurden, sind durchweg positiv: Innerhalb weniger Tage zeigten sich meist schon die ersten Erfolge. Mitarbeiter und Tiere waren hoch motiviert. Wir können das bestätigen!
Einsatzbereiche und Erfahrungsberichte
Unsere ersten Erfahrungen haben uns „schwer beeindruckt“. Wir, Christina Sondermann und Renate Scherzer, haben den Clicker regelmäßig – inzwischen schon seit mehreren Jahren – bei unserem Einsatz im Tierheim Soest im Gepäck. Wenngleich wir dort nur einen Nachmittag pro Woche aktiv sind, unser zeitlicher Schwerpunkt im Moment auf der Beratung der „Neubesitzer“ liegt und somit viel zu wenig Zeit zum (Clicker-)Training mit den vierbeinigen Insassen verbleibt, lassen die Ergebnisse erahnen, welche Potenziale das „clickernde Tierheim“ birgt. Wir haben hervorragende Erfahrungen in den nachfolgend beschriebenen Einsatzbereichen gemacht.
Ein paar praktische Tipps
Grundsätzlich heißt es: Loslegen und ausprobieren. Sie können kaum etwas falsch machen. Hier noch ein paar Tipps für den praktischen Einsatz:
- Das richtige Futter: Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen – und deshalb brauchen Sie in der „Ausnahmeumgebung Tierheim“ auch besonders gutes Futter. Fleischwurst und Putenfleisch öffnen den Weg zum Hundehirn. Für „geringerwertiges“ Futter ist der Stresspegel meist viel zu hoch. Hunde, die das „Clickerfieber“ erst einmal gepackt hat, können nach einiger Zeit wieder umgestellt werden auf „gesünderes“ Trainingsfutter. Schneiden Sie die Futterbrocken maximal erbsengroß. So können Sie häufig belohnen, ohne dass der Hund sich überfrisst.
- Die Konditionierung des Clickers: Unserer Erfahrung nach brauchen Sie sich damit gar nicht lange aufhalten. Ein paar Mal „Click + Futter“ hintereinander – und der Clicker ist einsatzbereit. Wenn Sie es sich zur Gewohnheit machen, bei Ihren Gängen durch die Hundehäuser ohnehin jeden (gerade nicht bellenden) Hund mit „Click + Futter“ zu bedenken, dann wissen die meisten Hunden sowieso schon, dass der Knackfrosch Futter ankündigt. Sie können den Clicker dann sofort für alles Weitere (z.B. Targettraining oder Leinenspaziergang) verwenden.
Mit Clickertraining zur „Bell-freien Zone“
Karen Pryor hat ein verblüffend einfaches, leicht in die Tierheim-Routine einzubindendes Sieben-Punkte-Programm zur Stress-Reduzierung im Tierheim entwickelt. Im Original ist „Make your Shelter a Bark-Free Zone“ auf ihrer Webseite www.clickertraining.com zu finden. Karen Pryor hat uns netterweise die Übersetzung ins Deutsche erlaubt – als Beispiel für die Einbindung des Clickers in den Tierheim-Alltag:
Machen Sie aus Ihrem Tierheim eine Bell-freie Zone
Ständiges Bellen setzt sowohl Tierheim-Insassen und -Mitarbeiter unter Stress. Eine kleine Änderung der täglichen Routine kann den Lärmpegel auf Null senken!
Vorbereitung:
- Hängen Sie kleine Behältnisse mit Leckerchen sowie einen Clicker an die Außenseite jeder Box oder lassen Sie die Tierheim-Mitarbeiter Clicker an Handgelenken oder Gürteln tragen.
- Bitten Sie alle, die sich häufig bei den Unterbringungen der Hunde aufhalten, um die nachfolgend beschrieben Vorgehensweise mit dem Clicker.
Schritte:
- Wenn ein Hund bellt, nähern Sie sich ihm und warten Sie, bis das Bellen aufhört – und wenn es nur für den Bruchteil einer Sekunde ist. Clicken und belohnen Sie (Anmerkung der Übersetzerin: in genau diesem Moment!) und gehen Sie weiter. Oder…
- Wenn ein Hund fortwährend bellt, beachten Sie ihn nicht: Clicken und belohnen Sie statt dessen seine stillen Nachbarn – nur einmal, dann gehen Sie weiter.
- Wenn ein Hund bellt und aufhört, sobald er Sie kommen sieht, clicken Sie und werfen ihm das Leckerchen zu. Warten Sie einen Moment und beobachten Sie ihn. Clicken und belohnen Sie erneut.
- Markieren Sie Zwinger von beharrlichen Bellern mit einer farbigen Kennzeichnung oder einem Band. Bitten Sie die Tierheim-Mitarbeiter, jegliches Verstummen dieser Hunde zu clicken und zu belohnen.
- Clicken Sie beharrliche Beller für jedes der folgenden Verhalten: Wegschauen, sich Hinlegen, zurück Treten vom Gitter.
- Haben Sie Geduld! Bei Hunden, die aus Gewohnheit bellen, könnte sich ihr Gebell vorübergehend verschlimmern, bevor sie nachgeben und das Still Sein als neue Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erlangen, anbieten.
- In Situationen, in denen der Lärmpegel üblicherweise steigt, zum Beispiel bei der Fütterung, clicken Sie alle ruhigen Hunde, bevor Sie ihnen ihr Futter geben. Füttern Sie Beller zuletzt, und nur nach dem Click.
- Bitten Sie die Tierheim-Mitarbeiter darum, gelegentlich und nach keinem festen Schema zu clicken, wenn es still ist; unvorhersehbare Clicks und Belohnungen werden das erwünschte Verhalten aufrechterhalten.
Unsere ersten Erfahrungen mit der „Bellfreien Zone“: Jeder Gang durch die Unterkünfte der Hunde wird von uns genutzt, alle Hunde, die nicht bellen, mit Click & Futter zu bestärken.
Das kostet kaum Zeit und Mühe – umso erstaunlicher ist es, wie schnell die Hunde „umschalten“. Während die Annäherung eines Menschen ansonsten oft kreischende Aufregung mit entsprechender Geräuschkulisse auslöst (weil häufig auch mit dem Herausholen der Hunde aus den Zwingern verbunden), scheinen die Hunde nach ein paar Durchgängen zu registrieren: „Hier ist etwas anders. Mal still sein, mal horchen, mal nachdenken – es passiert was Interessantes, es gibt etwas zu holen“.
„Target-Training“
Es gibt kaum eine einfachere Möglichkeit, JEDEM Hund eine schnelle Trainingseinheit zukommen zu lassen.
- Wir gehen entlang des Ganges von Box zu Box (Anmerkung: das Tierheim ist eines der älteren Bauart mit Boxen/Zwingern beidseitig eines Ganges) und geben jedem Hund kurz die Gelegenheit, ein paar „Anstupsübungen“ zu machen (siehe Bilderserie oben). Dabei kommen dicke Zeigestäbe (vorsichtig einsetzen – zunächst nur seitlich ans Gitter halten und niemals lang durchschieben; es gibt immer Hunde, die haben Angst vor stockähnlichen Gegenständen!), Fliegenklatschen, ein zusammengeknoteter alter Socken oder schlichtweg der hochgereckte Daumen zum Einsatz.
- Wir stehen oder hocken dabei im Gang vor dem Zwinger und halten das „Target“ von außen ans Gitter – und clicken bereits das erste neugierige Beschnüffeln oder Begucken des „Targets“.
- Während die Hunde ihr Belohnungsleckerchen fressen, nehmen wir das Target-Objekt wieder weg und präsentieren es sofort danach wieder neu. C & B für weiteres Begucken oder Beschnüffeln.
Es ist erstaunlich, wie schnell die Hunde begreifen, was hier gespielt wird – und wie begeistert sie sich auf dieses Spiel einlassen! Die Potenziale dieser kleinen Übung:
- Target-Training ist Beschäftigung, Denksport und Beziehungsarbeit zugleich.
- Es ist für jeden Hund spielbar. Da es gut im „protected contact“ stattfinden kann (d.h. schützendes Gitter zwischen Mensch und Tier), eignet es sich auch für „schwierige“ Hunde.
- Und: Es ist ausbaufähig im Alltagstauglichkeitstraining. Ein Hund, der gelernt hat, z.B. den ausgestreckten Daumen anzustupsen und ihm sogar hinterherzulaufen, kann später problemlos von A nach B gelotst werden, ohne dass er berührt / geschoben / gezogen werden muss. In der Bilderserie unten beispielsweise lernt Shari, die bereits den Target-Stick kennt, dass das Anstupsen des Daumens die gleiche Bedeutung hat. Wir üben zunächst mit ihr in der ruhigen Tierheim-Cafeteria, dass sie den Daumen nicht nur anstupst, sondern ihm auch folgt. Kurze Zeit später setzen wir den Daumen bereits im „Außeneinsatz“ ein. Während im Hintergrund Passanten mit Hund vorbeigehen, wird die massige Shari mühelos „mit dem Daumen“ weggeführt.
„Leine locker“
Eine Trainingsanleitung von Karen Pryor stand Pate für erstaunlich entspannte Spaziergänge mit – häufig – „hochgefahrenen“ Tierheimhunden. Selbst extreme Leinenzieher oder Hunde, die vor lauter Aufregung nach Leine und Kleidungsstücken schnappen, sprechen hervorragend darauf an. Was wir tun: Wir clicken (und belohnen) so häufig, dass sich im Idealfall die Leine niemals spannt. Und so laufen unsere „Clicker-Spaziergänge“ ab:
- Wenn es möglich ist, füttern wir die Hunde bereits kurz an, noch während sie im Zwinger sind.Die ersten Schritte nach draußen laufen sie auf einer „Fleischwurstfährte“, die wir vorher ausgelegt haben. Das Resultat: Hunde, die schon in Fressstimmung und vergleichsweise ruhig sind, noch ehe es richtig los geht. Und dann setzt das eigentliche Clickertraining ein!
- Noch ehe der Hund an uns vorbeigestürmt ist, gibt’s den ersten Click (nämlich dafür, dass die Leine – wenngleich auch eher zufällig – noch durchhängt) – und das Belohnungsfutter fliegt direkt vor dem Hund auf den Boden. Der Effekt: Der Hund senkt die Nase, schnüffelt und sammelt, wird dadurch etwas langsamer – und wir nutzen die (kurze) Zeit, schonmal weiter vor in Richtung Ende der Leine zu gehen.
- Sobald sich der Hund wieder in Bewegung setzt, kommt der nächste Click (und zwar noch ehe der Hund auf unserer Höhe ist), und das nächste Futter fliegt, und zwar vor der Hundenase auf den Boden!
- Haben die Hunde das Spiel kapiert („Wann immer es clickt, fällt ein Leckerchen auf den Boden“) beginnen wir, das erwartete Futter zunehmend nach HINTEN auf den Boden zu werfen. Resultat: Die Hunde beginnen, langsamer zu werden. Der ungestüme Drang nach vorne wird deutlich weniger. Die Hunde orientieren sich mehr nach hinten. Viele beginnen, aufmerksam und interessiert neben uns zu laufen und auf den nächsten Click zu lauern. Der Mensch am Ende der Leine wird plötzlich wahrgenommen. Und: Das Futtersuchen hilft vielen Hunden dabei, auch andere interessante Gerüche am Boden wahrzunehmen, die sie vorher schlichtweg überrannt haben. Sie nehmen sich Zeit dafür und beginnen allmählich, ihre Umwelt zu erkunden (um das zu fördern, werfen wir das Futter wenn möglich an den WegesRAND – da, wo die interessanten Gerüche auch sind).
- Während wir anfangs „am laufenden Band“ (also alle zwei/drei Schritte) clicken und belohnen (die Belohnungsleckerchen sind max. erbsengroß, also überfrisst sich niemand), kommen wir erstaunlich schnell (meist nach wenigen Minuten) dazu, die Belohnungsrate zu reduzieren.
Sie wollen mehr wissen?
Sie sind fasziniert wie wir von den Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz des Clickers im Tierheim bieten? Die diesbezüglich beste und umfangreichste Informationsquelle ist derzeit Karen Pryors (englischsprachige) Webseite „www.clickertraining.com„. Dort sind nicht nur ihr Buch „Click for Life“, in dem sie sich diesem Thema ausführlich widmet, sowie umfangreiches Clickerzubehör erhältlich. Karen Pryor bietet auch kostenloses Begleitmaterial zum Lesen oder Herunterladen an: so etwa eine praktische Einführung in den Einsatz des Clickers im Tierheim, ein „10-Punkte-Programm, ein Clicker-Tierheim zu werden“, praktische Anleitungen zu einzelnen Übungen sowie Erfahrungsberichte einzelner Tierheime.
Übrigens ist Clickertraining nicht nur den hündischen Tierheim-Insassen vorbehalten: Jedes Tier im Tierheim kann geclickert werden. Clickertraining im Katzenzimmer zum Beispiel mindert den Stress, bereichert die Umwelt der Katzen, gibt ihnen Kontrolle über ihr Umfeld und lehrt sie, mit uns Menschen zu kooperieren. Auch hierzu gibt’s Informationen und Anleitungen in Karen Pryors „Shelter Resource Center“ (www.clickertraining.com/just_for_shelters).
Sie haben es auch ausprobiert?
Dann lassen Sie es uns wissen – wir sind gespannt auf Erfahrungsberichte und sind interessiert am Austausch!