Begegnungen entspannt(er) meistern
Zu den möglichen Problemen, die das Zusammenleben von Mensch und Hund am meisten belasten, gehören zweifelsohne Begegnungsprobleme. Diese betroffen sehr oft Artgenossen, manchmal aber auch Menschen, Fahrräder, Müllfahrzeuge, … . Wenn jeder Spaziergang für beide Seiten statt zum Genuss zur Herausforderung oder im schlimmsten Fall sogar zum Alptraum wird, dann führt das zu einer deutlichen Einbuße an Lebensqualität.
Die hier vorgestellten Tipps und Wissensquellen sollen …
- dabei helfen, das Begegnungsproblem von der Entstehung bis zur Therapie noch besser zu verstehen,
- dazu in die Lage versetzen, einfache Maßnahmen zur Ersthilfe selbst anwenden zu können,
- einen Maßstab darstellen, wie gutes Begegnungstraining aussehen sollen, wenn Sie sich externe Hilfe holen. Natürlich hat jeder Trainer seinen eigenen Stil und setzt seine eigenen Schwerpunkte. Die Basis sollte jedoch gleich sein: ein „positives“ Training, das auf eine Verbesserung der Gefühlslage abzielt und die Kommunikationsfähigkeit der Hunde wieder herstellt. Maßnahmen, die den Hund ängstigen und einschüchtern und das Problem lediglich unterdrücken (so, als würde man mit Gewalt das Ventil eines brodelnden Kessels zudrehen – mit der Gefahr, dass der Kessel irgendwann mit dann fürchterlichen Folgen explodiert), sind abzulehnen und kontraproduktiv.
Wichtig!
Erste Hilfe: Der kleine Begegnungsknigge
Hätten Sie das gedacht? Mit unserem Verhalten können wir Zweibeiner maßgeblich dazu beitragen, dass Hunde Begegnungssituationen deutlich entspannter meistern können! Davon profitieren übrigens auch Hunde ohne Begegnungsprobleme.
Herausforderungen verstehen
Die Art, wie wir Menschen uns auf dem Spaziergang begegnen, ist für Hunde oftmals eine Herausforderung: Wir gehen auf dem schmalen Spazier- oder Gehweg frontal aufeinander zu. Wir tun dies meist zügig und ohne anzuhalten.
In Hundesprache ist das eher unhöflich. Sozial kompetente Hunde brauchen für Begegnungen mehr Zeit und mehr Raum. Sie würden von sich aus ihr Tempo verlangsamen. Einige würden immer wieder den Blick abwenden, andere am Boden schnüffeln. Die meisten würden einen zumindest kleinen (in Hundesprache höflichen) Bogen schlagen, andere einen deutlich größeren (und dabei auch den Weg verlassen), einige würden (je nach Gegenüber) der Begegnung sogar ganz ausweichen.
Unser menschlicher „Begegnungsstil“ ermöglicht dies jedoch oft nicht. Gerade dann, wenn der Vierbeiner angeleint ist, bleibt ihm oft nichts anderes übrig, als mit uns frontal in die Begegnung zu marschieren. Ohne, dass es uns bewusst ist, zwingen wir unseren Hund damit zur Unhöflichkeit. Das macht ihn aufgeregt und führt zu Missverständnissen beim Gegenüber. Die Verwendung von handelsüblichen sehr kurzen Leinen (kaum Chance, zumindest ein wenig auszuweichen) und von Halsbändern (wann immer der Hund ans Leinenende kommt und Zug auf der Leine entsteht, wird’s unangenehm am empfindlichen Hundehals) verstärkt die Aufregung noch. Daher kommt es übrigens auch, dass viele Hundebesitzer feststellen, dass ihr Hund an der Leine mehr Begegnungsprobleme hat als ohne Leine.
Höflichkeit ermöglichen
Was auch immer die Ursache von Begegnungsproblemen ist: Sie werden im Regelfall deutlich kleiner, wenn wir den Hunden eine hundgerechte, höfliche Kommunikation ermöglichen bzw. sie ihnen neu beibringen.
Was Sie tun können:
- Achten Sie im Begegnungsfall auf Ihren Hund! Wenn er von sich aus Anstalten macht, das Tempo zu verlangsamen, am Boden zu schnüffeln, ein Stück oder sogar ganz auszuweichen (so, wie der Hund unten links im Bild), dann gehen Sie darauf ein und ermöglichen Sie ihm das!
- Wenn Ihr Hund so aufgeregt ist, dass er von sich aus nicht friedlich kommunizieren kann, braucht er Ihre Unterstützung: Schlagen Sie mit ihm einen höflichen Bogen. Wie groß dieser Bogen (zunächst) sein muss, sehen Sie an der Reaktion Ihres Hundes. Ziel ist, dass er ohne größere Auffälligkeiten passieren kann. Ob Ihr Bogen zunächst 100 m ins Feld hineinreichen muss oder ein Ausweichen an den äußersten Wegesrand ausreicht (so, wie auf dem Bild unten beim Hund rechts), werden Sie merken. Auch hier gilt wieder: Loben Sie Ihren Hund, wenn er vergleichsweise ruhig bleibt.
- Verbreiten Sie insgesamt eine möglichst ruhige und gelassene Stimmung. Wenn es doch mal dazu kommt, dass Ihr Hund in die Leine springt und sich aufregt, dann seien Sie Ihrem Hund ein Vorbild und bleiben Sie cool – shit happens! Verzichten Sie komplett auf Schimpfen, Zurechtweisen, an der Leine Rucken oder sonstige körperliche Einwirkungen. Wenn Sie – aus Hundesicht – selbst aggressiv werden, bestärken Sie Ihren Vierbeiner lediglich darin, dass Begegnungen wirklich schlimm sind!
Auch mit der Optimierung der „Ausrüstung“ Ihres Hundes können Sie zur Entspannung beitragen:
- Führen Sie Ihren Hund nicht am Halsband, sondern an einem gut sitzenden Brustgeschirr – und reduzieren Sie dadurch die aufregungsfördernden und schmerzhaften Einwirkungen auf den Hundehals.
- Soweit das möglich ist und weder Ihre Sicherheit noch die Ihres Gegenübers gefährdet: Versuchen Sie, Spannung auf der Leine zu vermeiden. Oft sorgen etwas längere „Alltagsleinen“ (empfehlenswert: gummierte Leinen von 3-5 m Länge) bereits für deutliche Entspannung.
Vor dem Problem davon laufen?
Es plagen Sie Zweifel: Wenn Sie mit Ihrem Hund ausweichen – wie soll Ihr Hund die Begegnungen dann jemals lernen? Beobachten Sie selbst, was passiert: Zum einen geht es Ihnen und Ihrem Hund sofort besser. Zum anderen werden Sie sehen: Ihr Hund wird allmählich gelassener in Begegnungen. Er „übt“ das unerwünschte aufgeregte Verhalten nicht mehr ein und bekommt stattdessen Nachhilfe in friedlicher Hundesprache. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Sie nach und nach weniger weit ausweichen müssen.
Schönfüttern?
Wenn Sie mit Ihrem Hund in „sicherer Distanz“ sind (also so, dass er ohne größere Aufregung passieren kann, kann je nach Hund verschieden ausfallen), dann dürfen Sie ihn gerne mit besonderes guten Leckerbissen füttern (ideal: kleine Fleischwurstbröckchen oder aber Nuckeln an einer Tube Hundeleberwurst). Er muss dafür nichts besonderes tun und darf das Gegenüber auch gerne dabei anschauen. Das „Buffet“ schließt sofort wieder, wenn das Gegenüber vorbei ist. Dies hilft dabei, den inneren Zustand des Hundes weiter zu verbessern! Probieren Sie dabei aus, welches Handling für Sie besser ist: ob Sie während des Fütterns weiter gehen oder dafür (in sicherer Distanz) stehen bleiben.
Sie können das Futter auch nutzen, um die Situation in Engstellen zu entschärfen: Wenn Sie nicht so weit ausweichen können, wie Ihr Hund das eigentlich bräuchte, dann können Sie ihn mit dem Futter vom Gegenüber „wegdrehen“. Allerdings sollten Sie mit begegnungsauffälligen Hunden solche Engstellen vorübergehend meiden.
Click für Blick!
Das Gegenüber anschauen und sich gut fühlen: So arbeiten Profis im Begegnungstraining. Manche setzen dabei auch ein Markersignal wie den Clicker ein. Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten und noch besser verstehen wollen, wie solche Ansätze den inneren Zustand des Hundes verbessern, lesen Sie dies in einem kostenlosen Artikel des Bookazins „SitzPlatzFuss“ nach .
Gute Begegnungen ermöglichen
Natürlich ist es Ihr Wunsch, dass Ihr Hund irgendwann Begegnungen „ganz alleine“ schafft – ohne Hilfe und ohne Ausweichen. Wie bereits erwähnt: Indem Sie mit ihm höfliche Hundesprache wie das Ausweichen und Bogenlaufen üben, legen Sie dafür den Grundstein.
Gleichzeitig können Sie überlegen: Gibt es bestimmte Begegnungen, mit denen Ihr Hund klarkommt? Dann geben Sie ihm viel Gelegenheit, diese erfolgreich zu meistern. Ein paar Beispiele:
- Ihr Hund hat Probleme mit Artgenossen, aber er hat einen oder zwei oder drei Hundefreunde? Sorgen Sie dafür, dass er möglichst häufig zu ihnen Kontakt haben darf. Dies soll möglicht nicht in Form von wildem Toben auf einer Wiese stattfinden, sondern als ruhige Spaziergänge! Ziel ist es, dass er mit seinen Freunden eine“feine“, friedliche und vor allem gelassene Kommunikation übt! Warum das gemeinsame Spazierengehen dafür besonders gut ist, können Sie bei SPASS-MIT-HUND hier nachlesen.
- Ihr Hund hat Probleme mit Artgenossen – allerdings können Sie genau abschätzen, bei welchen entgegenkommenden Hunden er reagiert und bei welchen nicht? Geben Sie ihm viel Gelegenheit zum Kontakt mit „unkritischen“ entgegenkommenden Hunden. Weil gemeinsames Spazierengehen aus Hundesicht viel einfacher ist als Begegnungen im „Stillstand“: Fragen Sie Ihr Gegenüber, ob Sie sich für ein paar Minuten anschließen dürfen. Dass Sie dabei rücksichtsvoll vorgehen, ist selbstverständlich: Stimmen Sie sich mit den entgegenkommenden Hundebesitzern ab, ob ein Kontakt möglich und erwünscht ist, und gehen Sie keine Sicherheitsrisiken ein.
- Ihr Hund hat ein Problem mit entgegenkommenden großen Männern – aber bei bestimmten Spaziergängern ist Ihr Hund neugierig und aufgeschlossen? Wenn das Gegenüber damit einverstanden ist und Sie kein Sicherheitsrisiko befürchten: Ermöglichen Sie den Kontakt.
- Und auch solche Fälle sind denkbar: Ihr Hund reagiert auf vorbeifahrende LKW, aber wenn sie geparkt sind, bleibt er erheblich ruhiger? Wenn Ihr Hund dazu bereit ist: Gehen Sie mit ihm hin und lassen Sie ihn das Fahrzeug erkunden.
Jede friedlich und gelassen bewältigte Begegnung macht Ihren Hund ein Stück fitter und sicherer!
Lieblings-Wissensquellen
Als kostenlose Wissensquelle sei allen Betroffenen und Interessierten der Podcast von Dog It Right ans Herz gelegt.
https://dogitright.de/podcast/
Christin Lange und Ulrike Seumel, selbst Fachfrauen für die Gestaltung erfolgreicher und entspannter Hundebegegnungen, reden hier Folge für Folge mit namhaften Expertinnen und Experten (u.a. Gerd Schreiber, Maria Hense, Anne Rosengrün, Sonja Meiburg, Thomas Riepe, …) über die veschiedenen Facetten von Begegnungsproblemen, Begegnungstraining und Kommunikation bei Begegnungen. Prädikat: unbedingt hörenswert! Als Beispiel hier die Folge 9 der jeweils ca. 45-60 Minuten langen, ausführlichen Episoden „Kommunikation in Hundebegegnungen“ mit Maria Hense.
Die folgenden Bücher empfehlen wir wärmstens:
Leinenaggression
Clarissa von Reinhardt
animal learn Verlag
Paperback, 72 Seiten, zahlreiche Fotos
14,00
Das kleine Büchlein ist eine ideale, besonders leicht und schnell zu lesende Einstiegslektüre für alle Betroffenen. Der Begriff der Leinenaggression bezieht sich hier ausdrücklich auf die Fälle, in denen die angelegte Leine Auslöser dafür ist, dass der (ansonsten verträgliche) Hund sich abwehrend bzw. aggressiv verhält. Es wird sehr anschaulich erklärt, durch welche Faktoren (oft: falsche Erziehungsratschläge oder Fehler im Handling) Leinenaggressionen entstehen können und welche Rolle die Ausrüstung (Leinenlänge, Halsband oder Brustgeschirr, Einsatz diverser Erziehungshilfsmittel) dabei spielt. Die Trainingsansätze sind einfach und gut erklärt und eigenen sich nach unserem Eindruck dafür, dass das Hund-Mensch-Teams auch im Alltag bereits erste Erleichterung finden kann.
Zum Buch bei Amazon *Hund trifft Hund
Entspannte Hundebegegnungen an der Leine
Katrien Lismont
Cadmos Verlag
Paperback, 128 Seiten, zahlreiche Fotos
19,95 €
Ein ausführlicher und ganzheitlicher Ratgeber für interessierte Hundebesitzer und Hundetrainer, welcher Weg zu endlich wieder entspannten Leinenspaziergängen führt. Bevor am Problem gearbeitet wird, wird zunächst ein umfassender Blick auf die Faktoren Wohlbefinden, Gesundheit und Haltungsbedingungen geworfen und nach Optimierungsmöglichkeiten Ausschau gehalten. Den Einstieg ins tatsächliche Training steht ein Grundlagenteil voran, in dem überzeugend und verständlich erklärt wird, wie „positives“ Training funktioniert und wirkt. Dann werden Grundlagenübungen erklärt, die im Begegnungsfall helfen können. Dort wird übrigens mit dem sogenannten BAT-System (BAT = Behaviour-Adjustment-Training) gearbeitet: Der Mensch schafft die Voraussetzungen dafür, dass der Hund selbständig Wege findet, mit bisher schwierigen Begegnungssituationen zurecht zu kommen.
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