Wenn wir unsere Haustüren offen stehen ließen und die Hunde könnten beliebig kommen und gehen, dann wären sie tatsächlich häufig unterwegs. Allerdings würden sie dabei nicht in erster Linie „Meter machen“. Sie würden umherstreifen und sich Zeit nehmen, Veränderungen rund um ihr Zuhause ausgiebig zu erkunden. Sie würden sich an Grashalmen und Laternenpfählen festsaugen, die sprichwörtliche Hundezeitung lesen und selbst ihre Duftgrüße hinterlassen, also sich ganz dem Dog-Social-Media hingeben. All das ausgiebig tun zu dürfen, macht Hunde glücklich und gibt ihnen jede Menge geistiger Anregung.
Menschen ticken anders
Nun stehen unsere Haustüren aber im Regelfall nicht offen. Wenn die Hunde spazieren gehen, dann tun sie es üblicherweise mit uns Menschen, und damit auch nach unseren Vorstellungen. Und wir sind da etwas anders gestrickt als unsere Vierbeiner. Wir haben meistens einen regelrechten „Spaziergehplan“: eine Strecke, für die wir ein bestimmtes Zeitbudget einkalkulieren, und auf der wir oft ziemlich „gradlinig“ unterwegs sind. Für viele von uns ist der Hundespaziergang tägliches Fitnessprogramm und DIE Gelegenheit, selbst Bewegung zu bekommen. Entsprechend dynamisch und flott gehen wir ihn oft auch an.
Nun mach schon…!
Natürlich darf unser Hund während des Spaziergangs schnüffeln. Allerdings verhalten wir uns körpersprachlich unbewusst oft so, dass wir ihn zur Eile antreiben: Wir gehen schonmal ans Ende der Leine vor und warten etwas gelangweilt oder manchmal ungeduldig, bis der Vierbeiner ausgeschnüffelt hat. Oder wenn er frei läuft, dann gehen wir schonmal weiter – und ziehen den Hund dabei mit unserer Körpersprache regelrecht mit, denn der weggehender Mensch hat aus Hundesicht immer „Magnetwirkung“. Für die Vierbeiner ist das vermutlich so, als würde uns am Frühstückstisch ständig jemand dezent an der Zeitung zupfen und sagen „Nun mach schon…“.
Zeitungslesen ist Gehirnjogging!
Wie wäre es, hier etwas achtsamer zu sein – und sich häufiger Zeit zu nehmen, bewusst mit stehen zu bleiben und tatsächlich erst dann weiterzugehen, wenn der Hund ausgeschnuppert hat? Ganz besonders dann, wenn Ihr Vierbeiner schon etwas betagter ist oder sehr kurzbeinig oder sehr schwer und sich anstrengen muss, den vorausgehenden Menschen wieder einzuholen, wird er dies zu schätzen wissen. Achten Sie außerdem darauf, welche ungewohnten und interessanten Dinge Ihr Hund am Wegesrand entdeckt: den Heuballen auf der Wiese, die neue Baustellen-Absperrung, die plötzlich im Weg stehende Mülltonne und so weiter. Anstatt ihn mit einem „Ach komm, das ist doch nichts“ zum Weitergehen aufzufordern, gehen Sie mit ihm hin und geben ihm Gelegenheit, das Ding ausgiebig zu erkunden. Unseren Hund versorgt das mit „Lesestoff“ und die Verarbeitung der gewonnenen Sinneseindrücke ist eine rundum erfüllende Beschäftigung – und das ganz ohne Anstrengung!
….und noch viel mehr!
Ganz abgesehen vom Beschäftigungseffekt: Wenn Hunde darin gefördert werden, sich mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen, dann besitzt dies eine Fülle positiver Nebeneffekte:
- Gelassenheit und Nervenstärke nehmen zu. Wir zitieren in dem Zusammenhang gerne die norwegische Hunde-Expertin Turid Rugaas, die immer sagt: „Erkundung ist wie eine Impfung gegen Angst und Aggression“. Grundsätzlich profitieren davon alle Hunde, aber speziell für ängstliche und unsichere Hunde ist das Zeitunglesen und Erkunden mit einem regelrechten Förderprogramm gleichzusetzen.
- Unruhige Geister werden entschleunigt: Je hibbeliger und schneller der Hund, umso mehr fördert es seine Ausgeglichenheit, jedes Schnüffeln seinerseits durch Stehenbleiben zu bestärken.
- Fachleute gehen davon aus, dass speziell das Lesen und Hinterlassen von Markierungen die friedliche Kommunikation unter Hunden fördert. Sprich: Hunde, die Gelegenheit haben, sich ausgiebig bereits geruchlich kennen zu lernen, können, wenn sie denn tatsächlich einmal „in echt“ aufeinandertreffen“, gelassener miteinander umgehen. Man weiß ja bereits, mit wem man es zu tun hat.