Und die Moral von der Geschicht …
Fassen wir zusammen, was wir aus der aktuellen Canidenforschung wissen – und werfen wir abschließend einen Blick auf unser persönliches Exemplar, das vielleicht gerade in diesen Minuten einen nicht gesicherten Mülleimer in der heimischen Küche plündert oder einen Taschendiebstahl begeht ;-)
Die Zusammenfassung: Was wir aus der Forschung wissen
Das ist der aktuelle Wissensstand:
- Das Zusammenleben im Wolfsrudel ist lange nicht so, wie wir uns das bislang vorgestellt und auf unser Zusammenleben mit unseren Hunden übertragen haben. Die vermeintlichen „Rudelführer“ sind nichts anderes als fürsorgliche Eltern. Streitigkeiten gibt es höchstens dann, wenn die Tiere in Gefangenschaft unter Stress stehen. Ständige Rangordnungskämpfe, das Streben um Macht, autoritäres Gehabe und das Erzwingen von Gehorsam kommen in der Wolfsfamilie nicht vor.
- Und: Rudelverhalten an sich ist für unsere Vierbeiner gar nicht so wichtig. Sie sind zwar soziale Lebewesen und können in Gruppen zusammen leben, sind aber eigentlich von ihrer Entstehungsgeschichte her darauf programmiert, eigennützig auf den Müllkippen der Menschen darauf zu warten, dass ihnen das Essen zu fällt. Sie sind zwar verwandt mit den Wölfen, sind aber keine Wölfe und denken auch nicht so.
Auch, wenn wir uns das Familien-Idyll des Wolfsrudels getrost als Vorbild für unsere Hund-Mensch-WG nehmen könnten, wissen wir nun: Rudelstrukturen und Rangordnung sind es nicht, die als maßgeblicher Erklärungsansatz für hündisches Verhalten dienen und Richtschnur für die Gestaltung unseres Zusammenlebens sind.
Wenn nicht „Wolf“ und „dominant“: was dann???
Natürlich wirft das neue Wissen gleich einen ganzen Haufen neuer Fragen auf: Was ist es denn dann, was unser Zusammenleben mit unserem Hund beeinflusst? Nach welchen Prinzipien verhält er sich? Und wie können wir unser Miteinander gestalten? Dies in ein paar Zeilen auszudrücken, wäre vermessen. Allerdings kommt man schon sehr weit mit dem Wissen um einen Sachverhalt:
Hunde sind Egoisten…
Das ist nichts Negatives – sie sind ja schließlich die liebenswertesten Egoisten, die wir kennen. Dazu noch äußerst freundlich und in der Regel auf Konfliktvermeidung aus. Man muss es nur wissen: Sie tun und wiederholen das, was sich für sie lohnt, und lassen das, was keine Erfolge bringt. Sie sind auf ihren Vorteil aus und nehmen sich, was sie kriegen können: ganz ohne böse Absicht und wie wohl jedes Lebewesen – uns Menschen eingeschlossen.
Keine Angst. Wir sind ihrem Tun nicht hilflos ausgeliefert. Es ist eigentlich genau umgekehrt: denn schließlich haben WIR alles in der Hand, was unsere Hunde interessiert. Wir sind ihre Bezugspersonen. Wir verfügen über alles, was sie brauchen: Futter, Zuwendung, ein Dach über dem Kopf, Zuflucht und Sicherheit. All das verwalten wir. Man nennt das „Ressourcenkontrolle“. Diese „Ressourcen“ können wir uns zunutze machen: Wir tauschen sie ein, um unseren Hund zur Kooperation mit uns zu bringen. „Tust du, was ICH möchte, bekommst du, was DU willst“. Wir stellen die Regeln auf, nach denen dies geschieht, und unsere Hunde werden gerne mit uns kooperieren. Schließlich sind sie ja auf ihren Vorteil aus – und dabei führt kein Weg an uns vorbei. Eigentlich ganz einfach, oder?
…und uns ziemlich ausgeliefert!
Eines sollten wir dabei nicht vergessen. Gerade, weil sich unsere Hunde so eng an uns angeschlossen haben und so abhängig von uns sind, tragen wir eine große Verantwortung. Wir sind es unseren Hunden schuldig, verantwortungsbewusst mit ihnen umzugehen. Das hat nichts mit „Rudelführung“ oder „Dominanz“ zu tun, sondern schlichtweg damit, dass uns ein Lebewesen anvertraut ist, dessen Schicksal wir bestimmen. Wir, die wir das Leben unserer Hunde gestalten, stehen in der Pflicht, uns mit ihrem Befinden und ihren Bedürfnissen auseinanderzusetzen.
Unsere Hunde kommunizieren stets mit uns: Sie sagen uns ständig, wie sie sich gerade fühlen, was sie wollen, was sie ängstigt, was sie erfreut. Sie können gar nicht anders. Bloß WIR haben manchmal Probleme, ihnen zuzuhören und zu verstehen, was sie uns mitteilen. Allzu schnell liefern „Rangordnungsmodelle“ in unseren Hinterköpfen pauschale Erklärungsansätze für das Verhalten unserer Hunde – und führen dazu, dass wir unsere Hunde manchmal gründlich missverstehen und uns dazu verleiten lassen, physischen oder psychischen Druck auf sie auszuüben. Wenn unsere Gedanken aufhören, ständig um Dominanzkonzepte und Rudelhierarchien zu kreisen, wird der Blick frei für vieles, was tatsächlich in unseren Vierbeinern vorgeht. Und: Wir können es uns leisten, auf unsere Hunde einzugehen. Wir müssen keine Angst haben, „Schwäche“ zu zeigen und unsere Position in der „Rangordnung“ zu verlieren!
Da war doch noch was…?! Hundeprobleme auf dem Prüfstand
Vielleicht haben Sie noch die Hunde vom Einstieg in unser Dominanzthema im Hinterkopf: die mit dem vermeintlichen Dominanzgebaren, mit kleinen und großen Problemen. Sie wissen jetzt: „Rangordnungsprobleme“ sind kein Erklärungsansatz dafür. Wir möchten hier nur als Beispiel anführen, wie sich statt dessen die eine oder andere Verhaltensweise, die allzu häufig als „Dominanzproblem“ betitelt wird, erklären lassen könnte. Die Betonung liegt auf KÖNNTE, denn pauschalisieren lässt sich nichts – und Universalerklärungen gibt es nicht. Also los:
- Der Hund, der gerne auf erhöhten Plätzen liegt… strebt nicht nach Macht, sondern liebt vermutlich den Überblick und (besonders, wenn es sich dabei um das Sofa handelt) den Komfort.
- Der Hund, der immer als Erstes durch die Haustür stürmt … ist deshalb kein „Alphatier“. Er kann es vermutlich kaum erwarten, dass es rausgeht – und ist von seinem Besitzer einfach nicht dazu erzogen worden, seine Ungeduld etwas zu zügeln. Nicht sein Versäumnis, sondern das des Menschen – wenn dieser darauf Wert legt.
- Der Hund, der ab und an nicht gehorcht… hat häufig schlichtweg zu wenig geübt. Damit alles unter jeder Ablenkung klappt, ist viel Training erforderlich! Und wer ist dafür verantwortlich, dass geübt wird? Na, Sie wissen es schon… Ihr Hund auf jeden Fall nicht.
- Der Hund, der sein Futter verteidigt … ist kein Tyrann, sondern hat meist schlichtweg Angst, etwas weg genommen zu bekommen. Oft resultiert das aus schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit – und zwar mit uns Menschen!
- Der Hund, der Artgenossen angiftet … ist meist ein armes Würstchen mit sozialen Defiziten. Dass er Angst oder Wut gegenüber Artgenossen empfindet, können häufig wir Menschen uns auf die Fahnen schreiben. Vielleicht haben wir ihn nicht richtig sozialisiert? Vielleicht hat er die Anwesenheit von Artgenossen mit Unangenehmem verknüpft (zum Beispiel, weil er in der Vergangenheit aus Hilflosigkeit oder als gut gemeinter Erziehungsversuch für sein unerwünschtes Verhalten bestraft worden ist)?
Das Wissen um solche Zusammenhänge ermöglicht es uns, unseren Hunden fairer gegenüber zu treten, mit einem kühleren Kopf Ursachenforschung für unerwünschtes Verhalten zu betreiben und zu verschiedenen Lösungsansätzen zu kommen, die dem Hund gerecht werden. Und: Dieses Wissen bringt neue Qualitäten für unser Zusammenleben.
In Ihrer persönlichen Mensch-Hund-WG…
… wird das Miteinander doch sehr viel angenehmer, wenn nicht das Damoklesschwert der Dominanz über allem schwebt, was wir oder der Hund tun. Resümieren wir doch noch einmal:
Wir dürfen unsere Hunde mit gutem Gewissen mit auf das Sofa nehmen, wenn wir das möchten, ohne dass unser Status dadurch gefährdet ist. Ob wir oder er zuerst isst, ist auch ziemlich egal. Natürlich ist es wichtig, dass wir gewisse Regeln aufstellen, die unser Zusammenleben gestalten. Die geben unserem Hund Sicherheit und sorgen für ein harmonisches Miteinander. Das ist wie in einer Wohngemeinschaft: Wenn geregelt ist, wer morgens zuerst ins Badezimmer geht, dann schafft das allseitige Zufriedenheit. Dennoch ist der erste, der geht, nicht unbedingt der Privilegierte. Der eine geht lieber früher, der andere liegt gerne noch ein bisschen in den Federn. Der Vorteil: In Ihrer persönlichen Mensch-Hund-WG haben Sie die Freiheit, zu bestimmen, ob Sie als erstes gehen oder noch ein wenig liegen bleiben ;-)
Dafür stehen Sie allerdings auch in der Pflicht: nämlich dafür zu sorgen, dass es Ihrem Hund gut geht und seine Bedürfnisse befriedigt werden – und dass Sie darauf achten, was er Ihnen zu sagen hat.
Also: Wir wünschen Ihnen ein entspanntes Zusammenleben mit Ihrem vierbeinigen Mitbewohner!
P.S.: Falls Sie noch mehr zeitgemäße Lektüre rund um Hundeverhalten und Hundetraining lesen möchten – in unserer Bücherliste werden Sie sicher fündig.